Yoko Tawada im Bistro Allegro
Bistro Allegro, Blücherstr. 4, Ludwigshafen
Moderation: Dr. Sabine Fischer
>> Whitney erzählte, sie habe gerade ein Email von Aki bekommen. Es sei aber leider unlesbar, man könne nur die ersten zwei Wörter 'Liebe Whitney' lesen. 'Soll ich ihr ein Email schicken und fragen, was sie dir geschrieben hat?' fragte ich sie. Es gibt ein japanisches Kinderlied, das etwa so geht: Eine schwarze Ziege bekommt einen Brief von einer weißen Ziege und frißt ihn ungelesen auf. Dann bereut sie es aber und schreibt der weißen Ziege einen Brief und fragt, was in dem ersten Brief stand. Die weiße Ziege frißt diesen Brief ungelesen auf. Auch sie bereut es später und schreibt zurück, um zu erfahren, was in dem Brief stand, und so geht es immer weiter.
Kann eine Sprache einen Ozean überfliegen? Ich bekam manchmal Emails mit Leerstellen. Eine Freundin aus Hamburg schrieb mir, daß die deutschen Umlaute auf dem Weg nach Amerika oft in den Atlantik fallen und darin verschwinden. Japanische Schriftzeichen hingegen fallen in den Pazifik und kommen auch nicht an. Die Ozeane sind wahrscheinlich schon mit Umlauten und Ideogrammen überfüllt. Was wohl die 'ocean engineers' von MIT mit den ganzen Buchstaben machen würden? Ob Walfische Umlaute fressen? <<
Yoko Tawada wurde 1960 in Tokyo geboren und lebt seit 1982 in Hamburg. Sie studierte in Tokyo und Hamburg Literaturwissenschaft. Erste literarische Veröffentlichungen wurden 1986 im 'Japan-Lesebuch' publiziert, zahlreiche Buchveröffentlichungen folgten in Deutschland ab 1987, in Japan ab 1992. 1998 und 2000 hielt sie im Rahmen der Tübinger Poetik-Dozentur Vorlesungen. Sie schreibt in deutscher und japanischer Sprache. Yoko Tawada wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Lessingförderpreis der Stadt Hamburg, dem Chamsisso-Preis und 'Akutagawa-Sho', dem angesehensten japanischen Literaturpreis.
André Kubiczek im RIZ Cafe Bar
RIZ Café-Bar, H 7, 38, Mannheim
Moderation: Maike Lührs
>> Nun gut: dieser Hof schon wieder, Choriner Straße, an dessen verändertem Anblick durchs Jahr Less das Verstreichen der Zeit, den schleichenden Wechsel der Monate festmachte, zwischen Maloche auf der Post und Sommerdepression, diesem Unbehagen am aktuellen Aufenthaltsort und dem Wissen um Orte außerhalb der Erreichbarkeit, am Meer, im Gebirge, von einem Windstoß in flimmernder Straße erzeugt, beim Anblick eines wehenden Rocks um braun gebrannte Mädchenbeine, dem salzigen Geruch der Ostsee mitten im Prenzlauer Berg, unmittelbar folgend auf den von Hundescheiße. All das sehr plötzlich und im Affekt wahrgenommen und im Affekt darauf reagiert und sofort die Gegenwart gehasst, durch die man danach meist sehr bewusst stiefelte und wutentbrannt. <<
André Kubiczek, 1969 als Sohn einer Vietnamesin und eines Deutschen in Potsdam geboren, studierte Germanistik in Leipzig und Bonn und lebt als freier Autor in Berlin. 1997 erhielt er das Arbeitsstipendium Brandenburg, 1998 das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin. Sein bemerkenswertes Debüt „Junge Talente“ (2002) beschwört die träge und zugleich spannungsgeladene Atmosphäre der DDR-Endzeit herauf. Die „Jungen Talente“, die diesen eigentümlichen Kosmos bevölkern, sind Exzentriker und Träumer, die sich der staatlichen Bevormundung entziehen und so eher unbeabsichtigt zum Zusammenbruch des Systems beitragen. Im Frühjahr 2003 erscheint sein neuer Roman „Die Guten und die Bösen“ bei Rowohlt Berlin.
Alma Hadzibeganovic im RIZ Cafe Bar
RIZ Café-Bar, H 7, 38, Mannheim
Moderation: Semira Soraya-Kandan
>> Währinger Straße. Die mieseste U in Wien heißt U 6. Sie fährt die sechste Unterstufe der Arbeitswelt auf der Gesellschaftsleiter. Sauber getrennte Gürtel-Linie, Stammfahrgäste starrmüde.
Im vorletzten Waggon schaut eine auf ihre Levis-Knie, Gipfel der Rocky Mountains. Die Antiordentlichkeit ist ihr Außenzeichen. Momentan scheint sie eingewickelt von Kopf bis Ferse, oder, mit anderen Worten, sie befindet sich im ersten Tag der Regel, ihres Monatszolls. Plötzlich spürt sie einen langen Stich in der Hirnkapsel, eine mikroskopische Giftnadel wandert durch ihre Schultergegend und dann den Arm entlang. Sie dreht sich um und sieht einen unschuldig nach draußen blickenden Mann. Wien ist eine alte Spionen-lounge. Sie wollen sie als Abhörpuppe verwenden. Irgendein Geheimdienst schickt ihr seine Wanzen von Weltpolitikniveau. Doch was könnten sie Brauchbares herausfischen? Das Befinden der Exiljugend, regimeuntreu? Ist sie faschistisch, ist sie kommunistisch, sind die Zustände putschreif, et cetera? <<
Alma Hadzibeganovic wurde 1972 in Brcko (Bosnien-Herzegowina) geboren und studierte ab 1992 Kunstgeschichte in Wien. 1997 erhielt sie für ihren Text “zz00m: 24 Std. mix 1. of me oder Penthesilea in Sarajevo“ den ersten Preis des Literaturwettbewerbs „schreiben zwischen den kulturen“. Nach Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften (z. B. profil) legte sie im Winter 2000 mit „ilda zuferka rettet die Kunst“ ihr erstes Buch vor. Alma Hadzibeganovic lebt in Wien und Utrecht (Holland).