Gülcin Wilhelm, geboren in Istanbul, lebt seit 1977 in Berlin. Sie war lange Zeit bei der Wochenzeitung Der Freitag tätig und arbeitet heute als Autorin und freiberufliche Publizistin. 2011 veröffentlichte sie das Buch Generation Koffer. Die Pendelkinder der Türkei.
Im Begleitprogramm der Ausstellung KOFFERKIND liest die Berliner Autorin Gülcin Wilhelm aus ihrem Buch “Generation Koffer: Die Pendelkinder der Türkei”, das 2011 erschien und erstmals ein Tabu der deutsch-türkischen Migrationsgeschichte gebrochen hat.
In acht Porträts dokumentiert sie Lebensgeschichten von Betroffenen. In der Ära der Anwerbung ging es nur um die Arbeitskraft, für die Anwerbeabkommen gab es keine Kinderfrage. Alle gingen von kurzer Dauer des Aufenthalts aus. In der Praxis stellte sich aber heraus, dass eine kurze Aufenthalt in mehrer Hinsicht nicht realistisch war. So hatten auch die Unternehmen kein Intersse daran, eingearbeitete Mitarbeiter zu verlieren. Die meisten blieben viel länger als geplant, manche für den Rest ihres Lebens. Ihre Kinder, die zunächst oft bei der Großmutter oder einer Tante zurückgelassen wurden, hatten sie in den ersten Jahren der Arbeitsmigration nur für einige Wochen in den Sommerferien oder seltener besucht. Für die Kinder war es oft unverständlich, warum die Eltern sie verlassen hatten. Für manche Kinder waren die Eltern wie Fremde, teilweise hielten sie ihre Großeltern für die Eltern. Die Familienzusammenführung infolge der Verstetigung des Aufenthalts der sogenannten Garsarbeiter:innen, war schwierig. Die Kinder wurden aus ihrem Lebensumfeld gerissen und zogen in eine völlig neue Welt. Manche wurden später wieder zurückgeschickt, andere pendelten aus den verschiedensten Gründen mehrfach hin und her.
Gülcin Wilhelms Portäts zeigen, wie sich die Familien bemühten, neu zusammen zu finden – was oft schwierig war und nicht immer gelang.
Es sind Geschichten über die Wurzellosigkeit im doppelten Sinn: Die heute 45- bis 60-Jährigen sind Teil unserer Gesellschaft, viele von ihnen gelten als erfolgreich und gebildet. Doch ihre Lebensgeschichten sind durch die Verlusterfahrungen ihrer Kindheit geprägt.
Gülcin Wilhelm lässt die ehemaligen Kofferkinder selbst zu Wort kommen und beschreibt umfassend Auswirkung und Einfluss auf Familie und Identität.
Der erste Teil des Buches befasst sich mit mit den rechtlichen Hintergründen, der deutschen Einwanderungspolitik, der Haltung und den Beweggründen der Eltern, den Folgen für die Kinder, deren Verhältnis zu den Eltern, den Konflikten unter den Geschwistern. Im zweiten Teil werden acht „Kofferkinder“ in Portraits vorgestellt. Sie erzählen ihre ganz persönliche Geschichte, ihre Empfindungen, die heute daraus resultierenden Probleme.
Ein berührendes und wichtiges Buch, das einen vernachlässtigten Aspekt der bundesdeutschen Geschichte beleuchtet.
Gülcin Wilhelm: Generation Koffer. Die zurückgelassenen Kinder. Mit einem Vorwort von Cem Özdemir. Orlanda 2011. Das Buch ist aktuell vergriffen, eine Neuauflage ist in Planung
Die Ausstellung KOFFERKIND macht einen Prozesses der Migrationsgeschichte sichtbar, der oft vergessen wird. Die Aussstellung ist wichtig: die individuellen Geschichten machen es möglich, aus der Geschichte zu lernen, uns vor Wiederholung zu schützen und auch Respekt vor den Menschen zu zeigen, die diese schwierigen Lebensaufgaben durchlebt und bewältigt haben.
Ausstellung vom 1. bis 30. März 2024
Öffnungszeiten
Zu den Veranstaltungen und nach Absprache unter info@kulturrheinneckar.de
Samstag und Sonntag 16 -18 Uhr
Eine Veranstaltung von Kultur Rhein-Neckar e.V.
Eintritt: frei * Spenden willkommen
Der Programmflyer wird auf Wunsch zugeschickt. Mail an info@kulturrheinneckar.de