„Es wäre mir lieber, ich müsste meine Reisen nicht hier beginnen, in der Ödnis um den Bahnhof, die immer noch von der Verwüstung dieser Stadt zeugt, einer Stadt, die im Lauf siegreicher Schlachten zerbombt und ruiniert worden war, als Vergeltung, so schien es mir, denn von dieser Stadt aus war der Krieg gesteuert worden, der tausendfach Verwüstung verursacht hatte, weit und breit, ein endloser Blitzkrieg auf eisernen Rädern, mit eisernen Flügeln. Das ist nun so lange her, dass diese Stadt zu einer der friedlichsten Städte der Welt geworden ist und diesen Frieden fast aggressiv betreibt, als eine Form der Erinnerung an den Krieg.
Der Bahnhof wurde vor kurzem in die Mitte dieser Stadt gebaut, und trotz des Friedens war der Bahnhof unwirtlich, es war, als verkörpere er all die Verluste, die mit keinem Zug einzuholen sind, einer der unwirtlichsten Orte in unserem kreuz und quer vereinigten und doch sehr begrenzten Europa, ein Ort, an dem es immer zieht und wo sich der Blick auf eine Ödnis öffnet, ohne dass sich ihm Gelegenheit bieten würde, in einem städtischen Dickicht hängenzubleiben, auf etwas zu ruhen, bevor man wegfährt von hier, aus dieser Leere inmitten der Stadt, die keine Regierung füllen kann, mit keinen großzügigen Bauten und keinen guten Absichten.“
(Aus: Katja Petrowskaja: Vielleicht Esther. cop. Suhrkamp Verlag)
Katja Petrowskaja wurde 1970 in Kiew, Ukrainische SSR geboren. Sie ist eine ukrainisch-deutsche Schriftstellerin und Journalistin und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Berlin. 2010 erhielt sie das Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung, 2013 das Stipendium des Künstlerhauses Ahrenshoop, 2013 gewann sie den Hauptpreis Ingeborg-Bachmann-Preis.
Moderation: Eleonore Hefner
Veranstalter:
Kulturamt Mannheim und Kulturbüro Ludwigshafen in Kooperation mit den Vereinen KulturRhein Neckar e.V. und KulturQuer QuerKultur Rhein-Neckar e.V. sowie die Stadtbücherei Frankenthal
Veranstaltungsort
Café Treppe im Kulturzentrum dasHaus, Bahnhofstraße 30, 67059 Ludwigshafen am Rhein, Tel. 504-2888
Eintritt: 6,- / 4,- Euro (ermäßigt)