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Von Kalabrien zur Anilin. Vom Rhein ans Mittelmeer.

20. April 2007 @ 0:00

Auf Einladung von Caterina Tascione, der Bürgermeisterin von Carfizzi und auf Initiative von Kultur Rhein-Neckar e.V. (KRN) reiste eine kleine Gruppe (Britta Hammer, Pädagogin; Silva Burrini, Sozialberaterin, Eleonore Hefner, Kulturvermittlerin, Elvira Iannone, Dolmetscherin, Gisela Witt, Künstlerin und Medienpädagogin und Christian Schreider, Journalist) vom 1. bis zum 13. April 2007 nach Kalabrien. Begegnung und Pflege des Dialogs waren die Ziele der Reise. Bei den einzelnen Mitgliedern kamen unterschiedliche Motive hinzu. So erfüllte sich Silva Burrini mit der Reise einen langgehegten Wunsch. Nach Ihrer Pensionierung wollte sie möglichst alle Orte sehen, aus der die vielen Menschen kamen, die sie in ihrem Berufsleben bei der Caritas betreut hat. „Die Migration hat viele Geschichten. Hinter jeder Geschichte stehen Menschen, mit ihrem Kummer, ihren Sorgen und ihrem Bemühen um ein gutes Leben und eine bessere Zukunft – für sich und ihre Familie.“
Für Eleonore Hefner von KRN war die Reise ein weiteres Puzzlestück in der Arbeit des Vereins zum Thema Migration und diente auch der Recherche für weitere Projekte zur Migrationsgeschichte. Von Dezember 2005 bis April 2006 hatte KRN im Ludwigshafener Stadtmuseum die Ausstellung ANELLINO – zur Geschichte der Italiener in Ludwigshafen“ mit großem Erfolg gezeigt. Über 10.000 Besucher dokumentierten ein großes Interesse an der Geschichte der Migration. So war u.a. die Bürgermeisterin Caterina Tascione aus Carfizzi zur Ausstellung ANELLINO nach Ludwigshafen gereist und hatte zum Besuch nach Carfizzi eingeladen.
ANELLINO hatte die andauernde starke Verbundenheit der italienischen Familien nach jahrzehntelanger Migration gezeigt, die neben der Bindung zur neuen Heimat Ludwigshafen anhält. Ob diese beidseitige Verbundenheit als „Zerrissenheit“ zu interpretieren ist oder als Chance verschiedener Beheimatungen und Zugehörigkeiten verstanden werden kann – letztlich gar als Möglichkeit zur Entwicklung einer europäischen Identität – kann pauschal nicht beantwortet werden.
Es war eine der Fragen, die in Carfizzi diskutiert wurden. Das kalabresische Dorf, aus dem ca. 150 Familien nach Ludwigshafen ausgewandert sind, entstand selbst aus einer Migrationsgeschichte. Die Vorfahren der heutigen Dorfbevölkerung kamen nach der Eroberung ihrer Heimat durch die Türken im 15. Jahrhundert aus Albanien nach Süditalien. Heute noch sprechen die Menschen als erste Sprache Arbëresh (italo-albanisch) und bewahren viele ihrer traditionellen Bräuche.
Bürgermeisterin Caterina Tascione bemühte sich darum, der Ludwigshafener Reisegruppe Einblicke in die kulturelle und wirtschaftliche Situation Carfizzis zu geben, und stellte z. B. Projekte vor, die Chancen für neue Existenzgründungen in einer Region bieten, die nach wie vor mit hoher (Jugend-)Arbeitslosigkeit kämpft. Die große Hoffnung heißt Tourismus. Das hübsche Bergdorf liegt landschaftlich sehr reizvoll und hat eine schöne intakte Natur und die Nähe zum Meer zu bieten. Aber die Konkurrenz ist groß.
Die Gruppe besuchte die bemerkenswerte lokale Bibliothek, in der man der Reisegruppe auch eine Ausstellung mit gewebtem Kunsthandwerk zeigte. Beim Besuch der Schule, die von 33 Kindern besucht wird und des Kindergarten mit der Vorschule, wo weitere 19 Kinder betreut werden, war der Umgang mit der Mehrsprachigkeit der Kinder das Hauptthema. Die Schule ist eine Ganztagesschule und eine Köchin sorgt sich, neben den fünf Lehrerinnen um das Wohl der Kinder. Viele Gespräch führte die Gruppe auch mit Rückkehrern. Ausflüge in die Bezirkshauptstadt Crotone und ein Treffen mit einer zweiten Reisegruppe, die von Ludwigshafen-Mundenheim nach Altilia (Santa Severina) zur Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrags gereist waren, standen auf dem Reiseprogramm.
Ein Höhepunkt des Besuches in Carfizzi bildete die Abschlussveranstaltung, bei der ein Videobrief aus Ludwigshafen gezeigt wurde. Gisela Witt von der Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) hatte in Zusammenarbeit mit Elvira Iannone Botschaften aus Ludwigshafen gefilmt. Ludwigshafener „Carfizzioten“ erzählten über Veränderungen in Ludwigshafen: über die heutige Nutzung ehemaliger Wohnbaracken der Gastarbeiterzeit als Lager; den Abriss der alten Arbeitersiedlung in Brunckviertel, die Treffpunkt der Emigrierten und den Ersatz der Arbeitskraft durch Maschinen. Gebannt lauschte und hörte das Publikum den Berichten der fernen Freunde und Verwandte, die anschließende Debatte kreiste um den Erhalt des dörflichen Zusammenhangs. „Eigentlich geht unser Dorf von Carfizzi bis Ludwigshafen, ja gar bis Hamburg!“ meinte der aus Carfizzi stammende Carmine Abate. Der in Deutschland und Italien anerkannte Autor lebt mittlerweile im Trentino, jedes Jahr organisiert er das „Festa del Ritorno“ (Festival der Rückkehr) in Carfzzi. Ercole Mingrone, der in Friesenheim lebt, unterstützt ihn in seinem Bemühen um den dörflichen Zusammenhalt. In Zeiten der Globalisierung heißt dies aber auch in Carfizzi, dass Flüchtlinge in die Dorfgemeinschaft aufgenommen werden: Junge Männer aus Afghanistan, Frauen aus Nigeria, Guinea und Äthopien versuchen sich hier eine neue Existenz aufzubauen. 15 Flüchtlinge werden im Dorf von vier Sozialarbeiterinnen betreut, die selbst Migrationshintergrund haben – Lebensgeschichten, die die großen Migrationsbewegungen nach Argentinnien, Frankreich, Kanada und Deutschland nachvollziehen. Die Germanesi – so nennt man die nach Deutschland ausgewanderten – bilden aktuell die größte Gruppe, ein großer Teil des Dorfes lebt nun in Friesenheim.
Im September wird eine Reisegruppe aus Carfizzi in Ludwigshafen erwartet. Die Bürgermeisterin will auch mit jenen nach Ludwigshafen reisen, die die Chemiestadt noch nicht kennen – damit sie sich selbst ein Bild von der Stadt machen, die für viele in Carfizzi die „berühmtestes Stadt der Welt“ ist, wie es Carmine Abate formuliert hat.
Der Verein Kultur Rhein-Neckar wird diese Reise begleiten und weiterhin mit Lesungen, Filmen, Ausstellungen den Dialog zur Migration fortsetzen. „Mit der Reise wurden einige Samenkörner gepflanzt – wir werden sehen, wie wir sie zum Wachsen bringen“ meint Eleonore Hefner, die Geschäftsführerin von KRN. Nach den Erlebnissen in Carfizzi haben wir z. B. großes Interesse an Filmabenden mit den Filmen „Don Camillo und Peppone“ – Geschichten, wie sie in Carfizzi spielen könnten. Als weiteres Projekt kann sich Eleonore Hefner eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Situation der Frauen am Beispiel der Geschichte traditioneller Webkunst in Carfizzi vorstellen. Zusammen mit Gisela Witt von medien+bildung.com gGmbH, Lernwerkstatt Rheinland Pfalz will sie mit Medienprojekten zur Auseinandersetzung mit Migrationsthemen in pädagogischen Handlungsfeldern beitragen. Gisela Witt könnte sich vorstellen, eine Videobrieffreundschaft zwischen einer Ludwigshafener Schule und der Schule in Carfizzi aufzubauen und zu betreuen. „Zunächst aber müssen wir unsere vielen Eindrücke verarbeiten! Carfizzi ist auf alle Fälle mehr als eine Reise wert!“ sind sich die sechs Mitglieder der Gruppe einig.

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Datum:
20. April 2007
Zeit:
0:00
Veranstaltungskategorien:
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Veranstalter

Kultur Rhein Neckar e. V.
Telefon
0621567266
E-Mail
info@kulturrheinneckar.de
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